Der Deutsche Bundestag hat heute die (erneute) Einführung eines automatischen Anpassungsmechanismus für die Abgeordnetenentschädigung beschlossen.
Die heutige Abstimmung über die Entschädigung der Abgeordneten zählt zu den sensibelsten Entscheidungen, die wir als Bundestagsabgeordnete zu treffen haben. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Anrecht darauf, dass es einen demokratisch legitimierten und nachvollziehbaren Mechanismus gibt, der die Anpassung der Diäten anhand objektiver Kriterien regelt. Die Abgeordnetenentschädigung sollte nicht nach freiem politischem Ermessen festgelegt werden können, sondern bedarf einer transparenten, nachvollziehbaren und objektiven Orientierung.
Aus diesem Grund stimmen wir als Bundestag ausschließlich über die Einführung dieses automatischen Anpassungsmechanismus ab, nicht jedoch über die konkrete Höhe der Diäten. Damit schaffen wir eine transparente Regelung, die frei von politischen Erwägungen ist. Der nun vorliegende Mechanismus orientiert sich an der allgemeinen Lohnentwicklung in Deutschland und entzieht die Höhe der Diäten einer regelmäßigen politischen Auseinandersetzung. Dieses Vorgehen halte ich grundsätzlich für richtig.
Allerdings dürfen wir uns als Parlament auch nicht der gesellschaftlichen Realität verschließen. Viele Menschen in Deutschland erleben aktuell, dass ihr Einkommen nicht zu einem guten Leben ausreicht. Während wenige in den letzten Jahren erhebliche Vermögen anhäufen konnten, bekommt die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Preissteigerungen der letzten Monate und Jahre deutlich zu spüren. Viele Menschen in Deutschland sind gezwungen, jeden Monat aufs Neue zu schauen, wie sie finanziell über die Runden kommen. Nicht selten muss selbst bei einer Vollzeitstelle aufgestockt werden. Vor diesem Hintergrund entsteht für viele Bürgerinnen und Bürger der nachvollziehbare Eindruck einer Ungerechtigkeit, wenn wir als Bundestagsabgeordnete automatische Anpassungen unserer Diäten beschließen, die noch dazu am oberen Ende der Lohnsteigerungen liegen, die in anderen Branchen von den Gewerkschaften erstritten werden – vom weiten Spektrum nicht-tariflicher Jobs ganz zu schweigen.
Das Gefühl der Ungerechtigkeit wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass weder die soziale Verteilungsbilanz der vorherigen Regierung positiv ausfällt, noch die amtierende Bundesregierung wirksame politische Maßnahmen einzuführen plant, welche die soziale Spaltung in unserem Land effektiv bekämpfen würden. Stattdessen wird das Land auch vom Bundeskanzler faul geredet, es werden Arbeitshöchstzeiten aufgeweicht und Sozialleistungen gekürzt, die versprochene Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro wackelt – und von den angekündigten Steuerreformen würden vor allem diejenigen profitieren, die ohnehin gut verdienen.
Die wirtschaftliche Lage bleibt indes labil. Die globale Nachfrage schwächelt, der schreckliche Krieg in der Ukraine hält an und die internationale Handelspolitik ist den täglichen Zolllaunen des neuen US-Präsidenten unterworfen. Nach Jahrzehnten zu geringer Investitionen in Infrastruktur und Modernisierung steckt der deutsche Standort weiterhin in der Krise. In ihrer Frühjahrsprojektion rechnet die Bundesregierung für 2025 mit einer Stagnation des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts. Viele Unternehmen kündigen Umstrukturierungen an, zahlreiche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen um ihre berufliche Stabilität und Zukunft bangen.
Eine angemessene Entschädigung für Abgeordnete dient dem Ziel, Abhängigkeiten oder gar Korruption entgegenzuwirken und sicherzustellen, dass Abgeordnete unabhängig und frei von finanziellen Zwängen ihren Aufgaben nachgehen können. Das ist explizit gewollt und richtig. Gleichzeitig ordnet uns unsere Diät bereits jetzt in die obersten Prozent der Einkommensverteilung in Deutschland ein – und die Debatte um eine automatische Erhöhung findet weder ökonomisch noch politisch im luftleeren Raum statt.
Die beste Lösung wäre deshalb aus meiner Sicht gewesen, besagten automatischen Anpassungsmechanismus für die Abgeordnetenentschädigung zwar einzuführen, ihn jedoch in diesem Jahr – wie bereits in der Vergangenheit geschehen – auszusetzen. Eine Diätenerhöhung von über 600 Euro halte ich mit Blick auf die Situation im Land für nicht vermittelbar. Die heutige Abstimmung sah eine solche Aussetzung aber nicht vor. Wir standen somit vor der Entscheidung, den Mechanismus entweder einzuführen oder ihn grundsätzlich abzulehnen. Letzteres halte ich aus den genannten Gründen für den falschen Weg.
Vor diesem Hintergrund habe ich entschieden, die für dieses Jahr vorgesehene Lohnsteigerung gemeinnützigen Organisationen zu spenden. Gleichzeitig appelliere ich dringend an die Bundesregierung, zeitnah Schritte zu unternehmen, die die soziale Spaltung unseres Landes und die Umverteilung von unten nach oben stoppen.
Ricarda Lang
Berlin, den 5. Juni 2025